Was kann Tierphysiotherapie leisten, was gehört dazu – und wie können wir unsere Hunde im Alltag selbst unterstützen?

Der Begriff der Tierphysiotherapie lässt sich gar nicht so einfach fassen. „Tierphysiotherapie ist tatsächlich ein weitaus größeres Feld, als man am Anfang glaubt“, sagt Sabine Hárrer. Sie ist sowohl in der Physiotherapie für Menschen als auch in der für Tiere ausgebildet und führt eine eigene Praxis für Hundephysiotherapie in Oberbayern.

Erholung und Vorbeugung

„Ganz klar gehört zur Tierphysiotherapie die Rehabilitation“, nennt Sabine Hárrer den ersten Teilbereich. Leider werde eine solche Behandlung nach Operationen allerdings noch häufig vernachlässigt oder gar übergangen: „Oft kommen die Leute mit ihren Hunden erst 3 Wochen oder noch später nach der OP zu uns. Das ist viel zu spät. Bei den Wundheilungsphasen, nach denen behandelt wird, sind wir in der dritten Woche auch schon in der dritten Phase. Gerade die ersten beiden sind aber wichtig, damit der Hund hinterher kein Narbengewebe hat, sondern voll funktionsfähiges Bindegewebe.“

Tierphysiotherapeutin Sabine Hárrer

Darüber hinaus sei es für den Hund vorteilhaft, bereits vor einem anstehenden chirurgischen Eingriff in die Praxis zu kommen. Dann könne der Therapeut/die Therapeutin ihn bereits mit den Techniken vertraut machen, die er/sie danach anwende. So werde das Tier nach der OP nicht mit etwas Unbekanntem konfrontiert. Immer wieder geschieht es laut der Expertin sogar, dass Hunde, die etwa aufgrund von Kreuzbandproblemen operiert wurden, erst Monate nach dem Eingriff zur Physiotherapie kommen – weil sie nicht richtig auftreten/belasten. „Ist eine Hintergliedmaße aufgrund derartig langer Unterbelastung/Immobilisation vollkommen atroph, kann man die Muskulatur kaum noch vernünftig aufbauen, geschweige denn Einfluss nehmen auf die Kollagenausrichtung“, bedauert Sabine Hárrer.

Wer jedoch früh mit seinem Hund vorstellig werde, könne sowohl von Maßnahmen zur Rehabilitation als auch von Training profitieren. Letzteres ist auch für Sporthunde wichtig, die nur zu Höchstleistungen fähig sind, wenn im Körper alles glatt läuft. „Die Prävention gehört auch zur Tierphysiotherapie“, betont die Expertin. „Die Hunde sollen bestenfalls gar nicht erst in die Situation kommen, etwas zu haben.“

Als eine weitere wichtige Zielgruppe in der Tierphysiotheraphie nennt die Fachfrau die Hundesenioren. „Ich höre immer wieder ‚Das ist ein alter Hund, der kann nicht mehr‘. Das ist Quatsch! Die meisten können und wollen auch. Und: Sie haben unglaublich viel Freude am angepassten Training.“ Als eine gute Möglichkeit für Oldies nennt sie fachkundig angeleitete Mobility-Übungen, mit denen sanft trainiert wird: „So kann man den Hunden viel Lebensqualität zurückgeben und sie auch qualitativ gut ins Alter begleiten.“

Diese Hunde haben häufig Probleme

Über die Jahre hat Sabine Hárrer einige Rassen ausgemacht, die mit bestimmten Problemen zu ihr kommen. Ganz klassisch sei das z. B. der Dackel mit der Bandscheibe. Auch große Hunde wie Hovawarts mit Degenerativer Myelopathie gehörten dazu. Bei dieser fortschreitenden Erkrankung sterben die langen Rückenmarksbahnen ab. Der Hund hat Einbußen in der Feinmotorik und die Muskeln in den hinteren Gliedmaßen werden immer schwächer. Schließlich kann er vollständig gelähmt sein. Leider ist eine Heilung bisher nicht möglich. Intensive Physiotherapie kann die Überlebenszeit des Hundes allerdings verlängern.

Auch die Minis bleiben nicht von Problemen verschont: „Bei den Toy-Rassen ist die Verbindung der ersten beiden Halswirbel sehr schwach“, erklärt die Fachfrau – Atlas und Axis sind über Gelenkbänder verbunden und nicht wie die anderen Wirbel über eine Bandscheibe. Darüber hinaus spiele oft die Hüfte (Stichwort Hüftgelenksdysplasie) eine Rolle – häufig bei Retrievern.

Unabhängig von Rassethematiken hat die langjährige Tierphysiotherapeutin eine weitere Beobachtung gemacht: „Hunde, die in der Hintergliedmaße steil stehen, also im Knie nicht gut gewinkelt sind, neigen dazu, Probleme mit dem Kreuzband zu entwickeln. Ich rede dabei nicht von Rassen, die von Haus aus steil stehen, sondern von Hunden, die viel steiler stehen als es für sie normal wäre.“

Tierphysiotherapeuten finden

Nicht nur das Zwischenmenschliche muss stimmen, auch die fachliche Kompetenz. Die Frage, welche Anhaltspunkte bei der Wahl einer geeigneten Fachperson helfen können, ist auch für Sabine Hárrer nicht so leicht zu beantworten. „Auf jeden Fall wichtig ist die Ausbildung an sich“, betont sie. Der Beruf sei nicht geschützt und Ausbildungen gebe es viele. Dass ein 4-wöchiges Online-Seminar und ein 2-jähriger Kurs mit viel Präsenzunterricht zu unterschiedlichen Ständen in Erfahrung und Wissen führen, liegt auf der Hand.

„Auch die unterrichtenden Dozenten zählen“, ergänzt die Expertin. „Für Hundehaltende ist das aber natürlich kein nützlicher Anhaltspunkt. Am ehesten lassen sich noch die Länge der Ausbildung und ein hoher Praxisanteil als Kriterien zur Orientierung heranziehen.“ Häufig liege in einem bestimmten Wissensgebiet einiges im Argen.

Womit sich Tierphysiotherapeuten unbedingt auskennen sollten? „Mit der Anatomie! Das klingt banal, ist es aber nicht.“ Das anatomische Wissen werde ihres Erachtens zu wenig gelehrt. „Wenn ich nicht weiß, ob den Hund ein Gelenk oder ein Muskel schmerzt, kann ich nicht adäquat behandeln. Weiß ich nicht, ob dem Hund möglicherweise der Nerv wehtut, wird er womöglich immerzu auf Milbenallergie statt mit Neurodynamischer Mobilisation behandelt und ich werde ihm nie auf Dauer helfen können.“

Sei man nicht dazu in der Lage, das Grundübel zu beseitigen oder zumindest zu beeinflussen, werde es immer wieder zu der Problematik kommen. „Das heißt neben der Anatomie ist für mich das clinical reasoning – das Herbeiführen von Gründen, warum etwas so ist, wie es ist, mit meiner Behandlung verbunden.“ Dieses klinisch orientierte logische Denken macht eigene Denkprozesse bewusst und hilft dabei, Vorgehensweisen zu prüfen und hinterfragen.

Übungen für Spaziergänge

Mit einigen Übungen können wir im Alltag ohne großen Materialaufwand das Wohlbefinden unserer Hunde unterstützen und an häufigen Schwachstellen arbeiten – auch wenn die Vierbeiner sonst putzmunter sind. „Viele Hunde verlagern zu viel ihres Gewichts nach vorne, aus verschiedensten Gründen“, hat Sabine Hárrer beobachtet. Ihr ist daher der muskuläre Aufbau der Hintergliedmaße ein Anliegen.

Für die Hinterbeine: der Würstelbaum

Suche einen Baum mit gut gefurchter Rinde. In die Furchen steckst du Leckerlis und zeigst diese deinem Hund. Er soll sich auf seine Hinterbeine stellen, um an das Futter zu kommen. Die Höhe wählst du passend zu deinem Hund: Er sollte mit den Vordergliedmaßen mindestens auf Widerristhöhe kommen, damit ihm die Übung etwas für seine Hintergliedmaße bringt. Für solche dem Bewegungsapparat zuträgliche Übungen eigneten sich ebenso Böschungen oder Mauern.

Für die Körperwahrnehmung: Wurzelwege

„Sehr wichtig ist auch, dass Hunde eine gute Körperwahrnehmung haben“, betont die Fachfrau. „Ich rate dazu, sich mit dem Hund auf unterschiedlichen Untergründen bewegen.“ Du kannst z. B. im Wald Wege nehmen, auf denen viele Wurzeln an der Oberfläche verlaufen. Dein Hund soll seine Pfoten richtig setzen und nicht am Wurzelwerk hängenbleiben – Bodenarbeit in der Natur quasi. Auch für Senioren kann das eine gute, gemütliche Übung sein.

Du kannst deinen Hund auch auf einem geeigneten schmalen Erdwall oder großen Stein balancieren lassen. Oder du übst mit ihm, die Vorderpfoten auf einen Baumstamm zu stellen, während die Hinterfüße auf dem Boden stehen. Dann soll er sich seitlich bewegen – in beide Richtungen. Auch die Überreste eines abgesägten Baumes lassen sich ins Fitnessprogramm einbauen: „Der Hund soll mit den Vordergliedmaßen auf dem Stumpf stehen und ihn mit den hinteren umkreisen.“ Anstelle eines Baumstumpfes können sich auch Gegenstände zuhause eignen.

Tierphysiotherapie kann sinnvoll sein …

… bei der Behandlung von Schmerzen aufgrund von Problemen am Bewegungsapparat
… um Probleme am Bewegungsapparat zu verringern oder gar zu lösen
… zur Narbenbehandlung
… um die Heilungsphase nach chirurgischen Eingriffen zu verkürzen
… um Problemen vorzubeugen, z. B. durch gezieltes Training
… um Sporthunde, Gebrauchshunde und weitere Leistungshunde zu unterstützen
… um die Beweglichkeit und Lebensqualität von Hunden mit Handicap und auch von Hundesenioren zu steigern