Interview Teil 1 : Sportphysiotherapie
Interview Teil 2: Sporthunde und Familienhunde, häufige Verletzungen
Interview Teil 3: Mantrailing, Turnierhundesport, selbst Hand anlegen

Wer mit seinem Hund Hundesport treibt, sollte sich Gedanken über den Schutz der Gelenke des Vierbeiners machen. Wir haben mit Tierärztin Dr. Silke Meermann über die Rolle der Sportphysiotherapie gesprochen. Diese eignet sich, um Verletzungen vorzubeugen – auch bei sportlich weniger ambitionierten Hunden. 

Interview Teil 1 : Sportphysiotherapie

DER HUND: Was war Ihr Motiv, zusammen mit der Physiotherapeutin Christiane Gräff ein Buch über Sportphysiotherapie zu verfassen?

Das Motiv war, dass es so ein Buch bislang in Deutschland noch nicht gab. Und dass wir von beiden Seiten aus gesehen – also einmal aus Sicht der Hundesportler und -trainer, aber auch aus Sicht der Tierärzte und Physiotherapeuten – immer wieder gemerkt haben, dass da zum Teil relativ wenig Wissen über die jeweils andere Seite da ist.

Viele Tierärzte und -physiotherapeuten kennen einfach die vielen Hundesportarten gar nicht und wissen daher auch nicht, was für Belastungen entstehen oder auch was für Verletzungsrisiken gegeben sind. Das wird auch in vielen Ausbildungslehrgängen und auch im tiermedizinischen Studium nicht abgedeckt.

Die Hundesportler kennen natürlich die Bewegungsabläufe und Reglements ihrer Sportarten, wissen aber zum Beispiel oft nicht, wie sie ein Ausdauertraining sinnvoll gestalten können, damit der Hund nach dem Training wirklich konditionell besser ausgestattet ist als davor.

Wir wollen diese Wissenslücken schließen – auch vor dem Hintergrund, dass ein Austausch zwischen den beiden Seiten, also Hundesportler, Hundetrainer auf der einen Seite und Tierärzten und Tierphysiotherapeuten auf der anderen Seite, unumgänglich ist. Beide Seiten müssen wissen , was die jeweils andere tut, weil sie sich um denselben Patienten, nämlich den Hund, kümmern.

Ihr Buch ist also auch für interessierte Hundesportler, das heißt: veterinärmedizinische Laien, geeignet?

Für einen interessierten Sporttrainer sicherlich. Der wird sich vielleicht nicht mit den beschriebenen Stoffwechselprozessen in der Zelle auseinandersetzen, für den ist der Praxisteil wohl der wichtigere Teil. Dafür ist das Buch ja auch in zwei Abschnitte gegliedert, vorne der Theorie- und hinten der Praxisteil.

Dabei funktioniert der Praxisteil auch ohne den Theorieteil. Natürlich ist es besser, wenn man den Theorieteil zuvor gelesen und verstanden hat. Man kann sich aber auch einen Abschnitt aus dem Praxisteil herauspicken und dann die Theorie dazu nachschlagen.

Physiotherapie kann zur Vermeidung von Verletzungen, zur Therapie und als Rehabilitationsmaßnahme, aber auch zur Leistungssteigerung eingesetzt werden. Wofür wird Sportphysiotherapie vor allem eingesetzt?

Vorab: Allgemeine und Sportphysiotherapie sind zwei verschiedene Dinge. Über Physiotherapie denken die meisten Halter von Familienhunden erst nach, wenn der Hund lahmt und wenn das Lahmen nach drei Tagen aufhört, wohl auch noch nicht. Wenn ein Kreuzbandriss oder Ähnliches diagnostiziert wird oder wenn der Hund älter wird und vieles nicht mehr geht, dann ist das meist der Punkt, an dem die Mehrzahl der Halter mit Physiotherapie in Kontakt kommt.

Die Sportphysiotherapie pickt sich Sporthunde als Patienten heraus. Leistungssteigerung ist normalerweise kein Ziel der allgemeinen Physiotherapie. Das ist bei der Sportphysiotherapie anders. Zu mir kommen sehr viele Hundesportler in die Praxis, bei denen ist der Präventionsgedanke sehr weit verbreitet.

Mir werden auch viele Hunde vorgestellt, da würden viele Normalbürger oder auch Tierärzte sagen: „Was ist denn? Der lahmt doch gar nicht.“ Da meint dann der Sportler: „Das weiß ich, aber ich möchte, dass das in drei Jahren auch noch so ist. Ich möchte den Hund auf die Landesausscheidung in der Sportart XY vorbereiten und habe bemerkt, dass er ein Konditionsdefizit hat. Was kann ich tun?“ Die Wahrnehmung ist sehr unterschiedlich bei Familien- und Sporthunden.

Interview Teil 2: Sporthunde und Familienhunde, häufige Verletzungen

Ist Physiotherapie zur Vermeidung von Verletzungen nur was für Sporthunde? Oder sollten sich auch Familienhundehalter darüber Gedanken machen?

Absolut. Dabei kann man die Gelenke natürlich nicht isoliert betrachten. Gelenke werden ja bewegt durch Muskeln und sind umgeben von Muskulatur und Bindegewebe. Für die Gelenksgesundheit ist es enorm wichtig, dass die Muskulatur gut trainiert ist. Das ist ein Hauptbetätigungsfeld von Physiotherapie allgemein, also nicht nur der Sportphysiotherapie, sich mit Weichteilen, also mit der Muskulatur, auseinanderzusetzen. Hunde, die gut bemuskelt sind und Idealgewicht haben, sind besser geschützt vor Verletzungen als andere. Das gilt für Familienhunde genauso wie für Sporthunde.

Bei Familienhunden kommt aber hinzu, dass Halter sich oft über diese Dinge wenig Gedanken machen. Ein Halter, der mal wenig Zeit hat, packt dann vielleicht einen Ball ein, fährt zur nächsten Hundewiese, lässt den Hund aus dem Kofferraum springen und schmeißt dann 20-mal den Ball – womöglich noch mit einer Weitwurfschleuder. Dabei wird sein Hund komplett ohne Aufwärmen einer maximalen Belastungsspitze ausgesetzt. Dabei ist der Hund oft extrem hochmotiviert – schließlich handelt es sich um eine Beutemotivation.

Die Folge: Das Verletzungsrisiko ist immens. Das gilt gerade für Familienhunde, und das umso mehr, wenn sie nicht die nötige Fitness mitbringen. Im Bereich der Familienhunde gibt es noch ein großes Potenzial zur Vermeidung von Verletzungen. Es wäre sinnvoll, wenn mehr Halter sich fragen würden: Was sollte ich im Umgang mit meinem Hund ändern? Wie kann ich Spaziergänge sinnvoll gestalten? Ist mein Hund übergewichtig?

Welche Gelenksverletzungen treten denn bei welchen Sportarten am häufigsten auf?

Dazu gibt es Studien, zum Beispiel die vom New Yorker Professor I. Martin Levy, der zufolge die überwiegende Zahl der Verletzungen beim Agility Weichteile betrifft, also nicht die Gelenke im streng anatomischen Sinne, sondern die Muskulatur und teilweise auch Sehnen. Dabei muss man bedenken, dass der Bewegungsapparat ein Kontinuum ist, mit fließenden Grenzen, wo das eine in das andere übergeht. Andererseits wäre für mich etwa ein Kreuzbandriss eine klassische Gelenkserkrankung, weil die Kreuzbänder innen im Kniegelenk liegen und nicht außen dranhängen. Da fällt die Abgrenzung leichter.

Bei den Sporthunden, die mir mit Gelenksverletzungen vorgestellt werden, stehen Blockaden der Wirbelsäule und der Kreuzbeinbeckenregion im Vordergrund, und zwar bei verschiedenen Sportarten. Zum Glück kommen die Sporthundehalter oft schon zu mir, wenn der Hund noch gar nicht wirklich sichtbar lahmt, sondern eben nur ein wenig langsamer geworden ist, etwa beim Absprung. Da muss das Gelenk meist nicht chirurgisch versorgt werden.

Ein großes Problem sind auch Zehengelenksarthrosen, etwa beim Agility, aber auch beim Dummysport, wenn viel über unwegsame Böschungen gesprungen wird. Darunter leiden nicht nur ältere Hunde, sondern auch schon Hunde im Alter von zwei, drei Jahren.

Im lumbosakralen Übergang, also dem Bereich zwischen Lendenwirbeln und Kreuzbein, stellen wir oft Cauda-equina-Probleme fest – bei fast allen schnellen Sprungsportarten wie Agility, Flyball, IPO, Dog Frisbee etc. Da führen viele Bewegungsabläufe zu hohen biomechanischen Belastungen.

Interview Teil 3: Mantrailing, Turnierhundesport, selbst Hand anlegen

Beim Mantrailing ziehen die Hunde ihr Frauchen oder Herrchen ja oft hinter sich her. Führt das nicht zu Problemen im Halswirbel- oder Schulterbereich?

Normalerweise tragen die Hunde dabei ein Geschirr und kein Halsband. Der Halsbereich ist also in der Regel frei. Gerade bei Hunden, die nicht zu einer typischen Diensthunderasse gehören, kann es problematisch sein, ein Geschirr zu finden, das zur Größe und zum Körpertyp des Hundes passt. Manche Hunde reagieren sehr empfindlich, wenn ein Geschirr drückt oder scheuert.

Problematisch kann auch die Stelle sein, wo der Karabiner eingehakt ist, vor allem wenn der nicht ständig auf Zug steht und zwischendurch auf die Wirbelsäule quasi draufklopft. Aber generell sind Sportarten wie Mantrailing, wo die Hunde vor allem schnuppernd durch die Gegend laufen, oder Rallye Obedience, wo die Bewegungsabläufe eher den normalen von Hunden oder Wildcaniden entsprechen, lange nicht so belastend für die Gelenke wie schnelle Sprungsportarten.

Gibt es Regularien in Sportarten, die Gelenksprobleme heraufbeschwören können?

Ja, die gibt es. Etwa bei der Fußarbeit: Dort wäre es aus tiermedizinischer Sicht sinnvoller, wenn die Hunde nicht nur auf einer Seite geführt werden würden, sondern auf der linken und der rechten Seite. In fast allen Sportarten ist das aber anders geregelt.

Ein anderes Beispiel: Im Turnierhundesport wurde vor einigen Jahren die trapezförmige Wand eingeführt statt der A-Wand. Die Belastungen an den Gelenken sollten – so die Theorie – verringert werden. An der neuen Wand können die Hunde aber quasi nicht mehr hinunterlaufen. Daher überspringen fast alle mittelgroßen und großen Hunde diese Wand komplett. Das ist in der Summe belastender, als wenn sie die Wand wie zuvor arbeiten würden. Es wäre sinnvoll, wenn man eine Neuerung zum Schutz der Hunde einführt, vorher zu prüfen, ob sie diesen Zweck wirklich erfüllt – und das auch wissenschaftlich untersuchen zu lassen.

Problemen mit den Gelenken vorbeugen

Kann ein Hundehalter selber etwas tun, um Gelenksproblemen entgegenzuwirken? Im Internet und in Büchern werden dazu diverse Übungen gezeigt. Oder kann es sein, dass ein Hundehalter, der keine physiotherapeutische Ausbildung hat, damit eher Schäden anrichtet?

Laien, die selber physiotherapeutisch „Hand anlegen“ möchten, sollten sich ausführlich von einer Fachkraft beraten lassen. Im Internet gibt es durchaus gute Anleitungen, aber eben auch schlechte. Zu beurteilen, ob man gerade eine gute oder schlechte erwischt hat, ist für den Laien sehr schwierig.

Nehmen wir einen simplen Plan zum Aufbau eines Ausdauertrainings: Wenn die Informationen darin richtig sind, ist er sinnvoll und auch für jeden Halter umsetzbar. Aber die sachlichen Informationen darin, wie Trainingshäufigkeit oder Kilometeranzahl, können auch viel zu hoch oder falsch sein. Dann ist er natürlich nicht sinnvoll.

Es ist auch schwierig, einen guten Therapeuten oder Tierarzt zu finden. Gerade der Bereich Tierphysiotherapie ist rechtlich überhaupt nicht geschützt. Hierzulande kann jeder ein Schild an die Tür hängen und sagen: „Ab heute bin ich Hundephysiotherapeut.“ In Deutschland fehlt eine einheitliche Qualifikation, anhand der Hundehalter erkennen können, wo sie sich beraten und ihr Tier vernünftig behandeln lassen können.

Abkühlen und Pausen sind wichtig

In Ihrem Buch gehen Sie auch auf die Bedeutung von Stress ein. Gerade in Prüfungssituation stehen die Hundeführer oft so „unter Strom“,dass sich der Stress auf den Hund überträgt. Was für eine Rolle spielt das für die Gelenksgesundheit?

Für die Gesundheit ist, so denke ich, diese Situation nicht so entscheidend. Das betrifft eher die Leistungssteigerung. Wo der Faktor Stress hinzukommt, kann das Ergebnis ein völlig anderes sein, als wenn zum Beispiel in Ruhe auf einem bekannten Übungsplatz trainiert wird. Unter dem Stress der Prüfung kann es dann sein, dass diese Leistung einfach nicht abrufbar ist.

Generell agiert ein Organismus unter Stress anders als ohne Stress. Stress aktiviert das sympathische Nervensystem mit den dazugehörigen Transmitterstoffen, das heißt: Kurzfristig wird Adrenalin und Noradrenalin ausgeschüttet, mittel- und langfristig Cortisol. Wenn ständig auf ein Cool Down, bei dem der Körper langsam wieder auf einen normalen Betriebsmodus herunterfahren wird, verzichtet wird oder wenn man jedes Wochenende an zwei Tagen auf einem anderen Turnier startet, kann sich diese Cortisolauschüttung langfristig nachteilig auf den Organismus auswirken.

Das betrifft nun nicht primär Gelenke – Stichwort: Immunsystem –, aber Cortisol hat eben auch eine bindegewebsaufweichende Wirkung. Da ist es durchaus denkbar, dass es dadurch schneller zu Bänderrissen kommen kann. Solche Sachen wie Ermüdungsfrakturen kennt man ja vom Menschen oder auch vom Pferd. Mir ist zwar keine Studie bekannt, die solche Zusammenhänge beim Hund nachgewiesen hat, aber solche Mechanismen können eine Rolle spielen. Darum sind Cool Downs, Trainingspausen und das Vermeiden von Übertraining absolut wichtig, um die Hundegesundheit zu erhalten.

Interview: Kenneth Knabe