
Foto: L. Schwarz
„Warte kurz, ich google das schnell …“ Zu so gut wie jedem Thema ist eine Flut an Infos nur ein paar Mausklicks entfernt. Blöd, dass im Internet aber nicht nur korrekte Fakten wohnen. Noch blöder, wenn Halbwahrheiten oder nur vermeintlich Richtiges ihre Runden ziehen. So wie diese sechs Aussagen über Welpen im Faktencheck.
„Welpen dürfen keine Treppen laufen“
Die Aussage, Welpen dürften überhaupt keine Treppen laufen, hält sich hartnäckig. Ein generelles „Treppen-Verbot“ kann für den jungen Hund aber zu Problemen führen. Spätestens dann, wenn er an Treppen nicht mehr getragen wird und nicht weiß, wie er diese seltsamen Stufen bewältigen soll. Tatsächlich ist es für die Koordination und das räumliche Sehen sogar wichtig, dass junge Hunde Treppenstufen kennenlernen.
In dem Teil der Großhirnrinde, der mit Bewegungen des Körpers zu tun hat, ist die Zellreifung mit der fünften Lebenswoche der Welpen abgeschlossen. Manche Zellen vergrößern sich noch bis zur 10. Lebenswoche. In diesem Alter muss ein Welpe unterschiedliche Spiel- und Bewegungsreize kennenlernen. Denn nur so können sich in seinem Gehirn die Strukturen bilden, die es ihm erlauben, damit umzugehen. Und zu diesen Reizen gehören eben auch Treppenstufen. Nur das, was das Gehirn benötigt, wird also ausgebildet und erhalten. Alles Überflüssige fliegt spätestens in der Pubertät hinaus.
Vorsicht: Das bedeutet nicht, dass ein Welpe täglich mehrmals alle Stufen in den zweiten Stock erklimmen und herabklettern sollte. Einzelne Stufen sollte er aber kennenlernen dürfen. Genauso wie es sinnvoll ist, dass er unterschiedliche Untergründe selbstständig erkunden darf. „Es ist wichtig, dass Welpen ausreichend Orientierungs-, Bewegungs- und Koordinationsmöglichkeiten haben“, sagt Tierärztin, Dozentin und Autorin Sophie Strodtbeck. „Räumliches Erkunden, Bewegungs- und Sozialspiel führen zu einer Verbesserung des motorischen und sensorischen Nerv-Muskel-Systems“, weiß sie zudem. Es muss also trainiert werden, damit im Körper alles korrekt zusammenspielt.
„Welpen sind unbeschriebene Blätter“
„Es hat sich eingebürgert, von ‚Prägephase‘ zu reden“, sagt die Expertin. Bei Hunden gibt es aber keine Prägephase. Was es sehr wohl gibt: bestimmte Phasen ihrer Entwicklung, in denen sie bestimmte Inhalte besonders leicht aufnehmen und lernen. Ein junger Hund, gerade einmal ein paar Monate alt – da ist doch eigentlich noch alles offen, könnte man meinen. Auch diese Annahme entspricht so nicht der Wahrheit. „In dem Moment, in dem ein Hund auf die Welt kommt, ist schon sehr viel passiert, das man nicht mehr ändern kann“, sagt die Expertin. Es folgen 2 Beispiele.
Einflüsse im Mutterleib: Testosteron
Als Beispiel führt sie den Testosteroneinfluss bei Hündinnen im Mutterleib an: Liegt ein weiblicher Welpe im Bauch der Mutter zwischen 2 männlichen Embryonen, bekommt sie über den Nabelschnurkreislauf so viel Testosteron ab, dass sie „vermännlicht“ geboren wird. Dieser Einfluss findet also bereits vor der Geburt statt und lässt sich nicht rückgängig machen. Er äußert sich darin, dass solche Hündinnen zum Beispiel sehr gut bemuskelt sind und das Bein heben.
Einflüsse im Mutterleib: Cortisol
Im letzten Drittel der Trächtigkeit kann auch das Stresshormon Cortisol Einfluss auf die ungeborenen Welpen nehmen. Es gelangt über die Nabelschnur von der Hündin in die Welpen. Wenn die Hündin viel Stress hat, werden die Welpen mit Cortisol überflutet. Wenn von „viel Stress“ die Rede ist, bezieht sich das nicht auf kurzzeitigen, zu bewältigenden Stress, wie etwa bei einem Ultraschalltermin. Vielmehr ist ein Leben unter stressigen Bedingungen gemeint, etwa bei einem Vermehrer.
Das in zu hohem Maße vorhandene Stresshormon in den Welpen führt zum einen dazu, dass diese ein schlechteres Immunsystem haben. Denn Cortisol unterdrückt das Immunsystem. Zum anderen hat es zur Folge, dass bei betroffenen Hunden beide Stresshormonsysteme, also die Nebennierenrinde (produziert Cortisol) und das Nebennierenmark (produziert Adrenalin und Noradrenalin), ein Leben lang leichter und stärker auf kleine stressauslösende Reize reagieren als bei Hunden, die im Bauch ihrer Mutter keinem hohen Cortisolspiegel ausgesetzt waren.
Hunde mit vorgeburtlichem Stress sind noch dazu weniger bindungsfähig, da sie weniger Rezeptoren für das Bindungs- und Beziehungshormon Oxytocin haben. Das ist übrigens auch bei Hunden der Fall, deren Mütter sich nicht gut um sie kümmern.
„Welpen stehen für jeden anderen Hund unter Welpenschutz“
Es ist völlig normal, dass Hündinnen den zur eigenen Familie gehörenden Nachwuchs schützen. In diesem Sinne gibt es Welpenschutz also schon. Das schließt neben den eigenen Welpen auch Welpen ein, die von außen zur Familie hinzukommen und sogar den Säugling der Halter. Es gilt aber nicht für jeden fremden Welpen, dem Hündinnen begegnen. Welpenschutz ist also keine allgemeine Verhaltensweise, mit der jeder ältere Hund auf alle Welpen reagiert.
Verantwortlich dafür, dass der eigene Nachwuchs geschützt wird, ist übrigens das Hormon Prolaktin. Es wird auch „Brutpflegehormon“ genannt. Auch bei Rüden steigt dieses Hormon an, wenn z.B. die Halterin schwanger oder eine Hündin im gleichen Haushalt tragend ist.
„Welpengruppen bringen keine Vorteile“
Vorab: Es stimmt, dass man mit seinem Welpen eher keine Welpengruppe aufsuchen sollte, als ihn in eine schlechte zu stecken. Aber eine gut geführte und zusammengestellte Gruppe für Welpen kann sehr vorteilhaft sein.
Welpen lernen darin den Umgang mit Gleichaltrigen und können sich ausprobieren. Sie machen wichtige Erfahrungen, etwa was die eigene Selbstwirksamkeit betrifft (z. B.: Wenn ich knurre, reagieren meine Gegenüber so oder so). Ein Vergleich mit Menschenkindern im Kindergarten: Kein Kind würde einen Erwachsenen so herausfordern, wie es ein anderes Kind herausfordert. Bei Hunden ist das ähnlich.
Aggression tritt im Hundeleben zwischen der vierten und fünften Lebenswoche auf. In diesem Alter werden die spitzen Welpenzähne erst einmal in alles und jeden hineingezwickt. Der junge Hund muss lernen, mit den Zähnen umzugehen bzw. auf ihren Einsatz zu verzichten. In einer guten Welpengruppe lernen vor allem die Menschen, in welchen Situationen sie eingreifen sollten und was okay ist.
Wer Welpengruppen aufgrund gesundheitlicher Bedenken ablehnend betrachtet, muss abwägen: Wie hoch ist das Risiko in meiner Gegend, dass Welpen an der Gruppe teilnehmen könnten, die Krankheiten mitbringen? Gebe ich meinem noch ungeimpften Welpen in dieser lernintensiven Phase seines Lebens die Möglichkeit, in die Welpengruppe zu gehen?
„Welpen müssen alles kennenlernen, sonst haben sie damit später Probleme“
Hauptbahnhof, Fußgängerzone, Restaurant, Zoo … für so manchen Welpen stellen seine Zweibeiner ein sehr ausführliches und volles Kennenlern-Programm auf. Schließlich soll er an allen Orten in seinem weiteren Leben cool bleiben. Während Welpen durchaus die Welt kennenlernen sollten, muss man darauf achten, sie nicht zu überfordern. Hilfreich ist dabei, dass Welpen generalisieren. Es muss ihnen nicht alles einzeln beigebracht und gezeigt werden. Das heißt z. B: Wenn sie im Zoo Nashörner und Giraffen gesehen haben, bilden sie dafür ein Referenzsystem im Kopf. In dieses System passt später auch ein Elefant. Der Welpe muss also nicht jedes Tier im Zoo sehen.
Entspannen, Impulskontrolle und Frustrationstoleranz
Wichtig: Welpen sollten auch Ruhe lernen, also herunterzufahren. Junghunde, die bis zur Pubertät nicht gelernt haben, zu entspannen, werden das danach nur schwer können. Auch Frustrationstoleranz und Impulskontrolle sind wichtige Eigenschaften, die schon junge Hunde lernen sollten. „Die Natur macht das sehr clever nebenbei von selbst“, sagt Sophie Strodtbeck. Spätestens wenn die Welpen ihre Milchzähne haben, möchte ihre Mutter nicht mehr rund um die Uhr als Milchbar dienen. Sie geht einfach, auch wenn noch nicht alle Welpen komplett satt sind. Ähnlich ist es, wenn es anderen Hunden beim Spiel mit den Welpen zu grob wird. Haben sie keine Lust mehr, gehen sie. Aber: Sie kommen auch wieder zurück. Die Welpen lernen dann, dass sich die Welt weiterdreht, auch wenn sie mal warten müssen.
Zu wenig ist auch problematisch
Mit dem Welpen zu wenig zu machen, aus Angst davor, ihn zu überfordern, ist ebenso wenig der richtige Weg. Bekommen Welpen zwischen der fünften und achten Lebenswoche zu wenig Anreize, dürfen sie keine kleinen Aufgaben lösen und Erfolgserlebnisse haben, führt das im Gehirn zu Defiziten. Genauer: in Bereichen mit Fasern, in denen die „Selbstbelohnungsdroge“ Dopamin vorkommt. Das Risiko steigt, dass diese Hunde Zwangshandlungen entwickeln, bei denen ihr Gehirn Dopamin ausschüttet.
Toll nutzbar bei Welpen ist ihre große Neugier. Jeder einzelne wird seine eigene Zeit brauchen, um sich Neuem zu nähern und sich mit Reizen auseinanderzusetzen, aber er wird es tun. Wichtig für den Menschen: seinem Welpen diese individuelle Zeit zuzugestehen.
Über den Artikel und die Expertin
Dieser Beitrag basiert auf einem Teil des Seminars „Stimmt es eigentlich, dass …? Über Mythen, Irrtümer und alternative Fakten rund um den Hund“. Die Tierärztin, Dozentin, Beraterin und Autorin Sophie Strodtbeck hielt es am 28. April 2019 in Emmering. Sophie hat selbst seit Jahren Hunde. Organisiert wurde das Seminar von der Wissensagentur fellomenal.