Je nach Rasse stecken in einer Hundenase 125 bis 220 Millionen Riechzellen. Zum Vergleich: Wir Menschen haben nur rund zehn Millionen. Da liegt es doch nahe, das tolle Riechvermögen unserer Vierbeiner zu nutzen und sie so auszulasten. Dafür kommt zum Beispiel die Flächensuche infrage. Was das ist, wie sich die Flächensuche vom Mantrailing unterscheidet und warum sie sich für viele Hund-Mensch-Teams gut als Hobby eignet, hat uns Martina Stricker erzählt. Sie ist seit fast 20 Jahren im Rettungshundewesen aktiv und hat Bücher zum Thema verfasst. 

Das Interview führte Lena Schwarz

Den Begriff Mantrailing haben die meisten Hundehalter schon gehört. Bei dem Begriff „Flächensuche“ werden die Blicke schon fragender. Wie unterscheiden sich die beiden Beschäftigungsmöglichkeiten, Frau Stricker?

Beim Mantrailing startet der Hund am letzten bekannten Aufenthaltsort eines Menschen. Er nimmt mithilfe eines Geruchsmusters dessen individuelle Geruchsspur auf und verfolgt diese zum Menschen hin. Der Flächensucher hingegen durchstöbert ein zugewiesenes Gelände nach frischen, menschlichen Partikeln, die jeder Mensch permanent absondert und die insofern entweder zu einer Person führen oder zu einem von einem Menschen berührten Gegenstand. Während der Hund bei der Flächensuche aufgrund seiner Nasenstärke die Suche selbständig übernimmt, leitet ihn sein Mensch so, dass sichergestellt ist, dass keine Suchlücken durch Luftströmungseinflüsse oder Spuren nicht gesuchter Personen, sogenannte Verleitspuren, den Erfolg vereiteln.

Was begeistert Sie an der Flächensuche als gemeinsame Beschäftigung für Hund und Mensch? Und eignet sich diese auch für Personen, die nicht in eine Rettungshundestaffel eintreten möchten?

Die aktive Zusammenarbeit von Mensch und Hund fasziniert mich jeden Tag aufs Neue. Sie schafft eine innige Beziehung und schenkt uns Einblicke in die unglaubliche Geruchswelt unserer Vierbeiner. Dabei bietet die Flächensuche schon allein im Hobbybereich eine enorme Bandbreite an Möglichkeiten. Ob mangels Helfer alleine mit dem Hund auf der Suche nach Gegenständen oder mit Gleichgesinnten nach Menschen: Jeder findet seinen Bereich. Belastungs- und Schwierigkeitsgrad können individuell angepasst werden. Sie reichen von spielerischer Beschäftigung bis zum auch für den Menschen herausfordernden Hobby und können für ambitionierte Teams auch in den Rettungseinsatz münden.

Welche Voraussetzungen sollten Hund und Mensch – sowohl individuell als auch als Team – mitbringen, um bei der Flächensuche Spaß und Erfolg zu haben?

Prinzipiell eignet sich die Flächensuche für Jeden. Etwaigen gesundheitlichen Einschränkungen eines Teampartners lässt sich durch die Wahl des Suchgebietes Rechnung tragen. Auf flachen Wiesen kann auch der Hundesenior noch Erfolge feiern. Anforderungen können nach Belieben gesteigert werden. Dann bedarf es jedoch auf beiden Seiten zunehmend körperlicher Fitness und beim Menschen – auf dem Weg zum Könner – einiges an Hintergrundwissen, um auch schwierigste Suchen möglichst schnell zum Erfolg zu führen. Da der Vierbeiner frei und selbständig agiert, sind eine funktionierende Kommunikation zwischen Mensch und Hund unerlässlich.

In Ihrem Buch zu Flächensuche betonen Sie, dass es wichtig ist, als Hundeführer im Alltag und beim Training Kompetenz auszustrahlen. Was bedeutet für Sie Kompetenz und wie zeigt sich diese? 

Dem Hunderudel entzogen braucht der Vierbeiner Hilfe. Wir müssen ihn in die Spielregeln unseres Umfeldes einführen. Wir sollten ihm Reiseleiter in der Menschenwelt, Fremdsprachenlehrer menschlicher Sprache und Fels in der Brandung zugleich sein. Dazu sind Klarheit, Logik und Beständigkeit vonnöten. Es ist unsere Aufgabe, unserem hündischen Gefährten mit Umsicht und Ruhe sowohl die Grenzen im sozialen Umfeld als auch die Weite seiner Entfaltungsmöglichkeiten zu vermitteln. Sorgfältig angeleitet wird er Teil des Familienrudels, in dem er sich beschützt und aufgehoben fühlt, selbst aktiv einbringt und jederzeit Orientierung findet.

Hunden erschließt sich über ihre Nasen eine ganze Welt, die uns Menschen größtenteils verborgen bleibt. Was sollten wir darüber wissen und wie sollten wir uns verhalten, dass wir unsere Hunde ihr volles Riechpotenzial ausschöpfen lassen können?

Im Gegensatz zum Augen-Menschen lebt das Nasentier Hund in einer vielschichtigen Geruchswelt, in der es sich meisterlich zu bewegen vermag. So erkennt der Hund zum Beispiel nicht nur detailliert den Hormonstatus eines Lebewesens, sondern er kann daraus zutreffend dessen derzeitige gesundheitliche Verfassung oder gar den aktuellen Gemütszustand beurteilen, der mögliche Reaktionen ankündigt. Solchen unglaublichen Fähigkeiten müssen wir Rechnung tragen. Sie finden in anspruchsvoller Nasenarbeit ein artgerechtes Ventil. Die Flächensuche bietet natürliche Sequenzen des Jagens, verträglich angepasst an unser heutiges Umfeld.

Haben Sie auch schon Hunde erlebt, die keine Freude an Nasenarbeit hatten?

Mit einem Menschen an der Seite, der ihn ernst nimmt, selbst voll bei der Sache ist und die jeweilige Nasendisziplin freudig und strukturiert aufbaut, genießt es jeder Hund, seine Fähigkeiten einzusetzen und seinem menschlichen Partner zu präsentieren. Das kann ich immer wieder beobachten. Wenn dies in all den Jahren tatsächlich einmal nicht der Fall war, lag es entweder an der Gleichgültigkeit des Hundeführers oder hatte gesundheitliche Gründe.

Riechen und suchen alle Hunde auf die gleiche Weise?

Meines Erachtens: Nein! Wie oft habe ich festgestellt, dass sich die Teams während einer Suche von ganz unterschiedlichen Richtungen der Versteckperson näherten. Trotz aller wissenschaftlicher Fortschritte wissen wir Menschen – in Bezug auf die Nasenstärke völlig Minderbemittelte – bis heute nicht, was sich der einzelne Hund auf der Suche nach Menschen zunutze macht. Sind es möglicherweise beim einen die vielzitierten Hautpartikel, sucht der andere vielleicht spezifische Körpergase oder Bakterienstämme. Deren Beschaffenheit hat Einfluss auf die Verteilung im Gelände und könnte Ursache für die unterschiedliche Arbeitsweise sein.

In der Flächensuche gibt es drei Verweisformen, also drei Arten, auf die ein Hund anzeigt, dass er eine Person gefunden hat: das Verbellen, das Bringseln (der Hund hat ein Bringsel am Halsband, nimmt dieses auf wenn er jemanden gefunden hat und kehrt zum Hundeführer zurück) sowie das Freiverweisen. Dabei kehrt der Hund nach Auffinden einer Person zum Hundeführer zurück und verhält sich auf eine bestimmte Weise (z.B. ins Platz liegen).

Welche Verweisform befürworten Sie und warum?

Bei Regen oder Sturm ist entferntes Bellen kaum hörbar, geschweige denn zu orten. Im Hobbybereich wäre zu befürchten, dass ein Passant das Bellen als drohenden Angriff interpretiert und Anzeige erstattet. Eine Horrorvorstellung für jeden Hundebesitzer.

Beim Bringseln muss dem Hund die akrobatische Aufnahme des Bringsels aufwändig beigebracht werden. Es könnte während der Suche verlorengehen und die Aufmerksamkeit des Hundes auf die Suche des Bringsels umlenken.

Der Freiverweis jedoch ist dem Hund leicht beizubringen und schweißt durch aktives Teamwork zusammen. Der Mensch wird vom Hund abgeholt und zum Opfer gebracht. Er gelangt so unabhängig von Witterung und Geländebeschaffenheit zuverlässig zur gesuchten Person.

Martina Stricker mit ihrem Hund Aaron

Wäre es nicht problematisch, wenn der Hund um zu verweisen nicht bei der gefundenen Person bleibt und bellt, sondern zum Hundeführer zurückläuft, sich die Person aber in dieser Zeit vom ursprünglichen Fundort wegbewegt?

Das Bellen an sich kann auf das Opfer schon sehr bedrohlich wirken. Wäre es wirklich besser, der Hund würde es auch noch lautstark bellend verfolgen? Welche psychische Belastung für eine hilfsbedürftige Person. Der Freiverweiser würde in diesem Fall vom ersten Fundort aus die ganz frische Spur des Opfers aufnehmen. Ein Kinderspiel für jeden Hund, der dazu noch wesentlich schneller ist als ein Mensch. Da man im Rettungseinsatz in der Regel auch davon ausgehen kann, dass die Person in Mitleidenschaft gezogen ist, kann sie in der kurzen Zeit bis zum Eintreffen des Teams kaum eine nennenswerte Strecke zurücklegen.

Über die Expertin:

Martina Stricker ist seit 2000 selbst im Rettungshundewesen aktiv und seit 2007 auch als Ausbilderin tätig. Sie beschäftigt sich schon seit zwei Jahrzehnten mit dem Verhalten, den Fähigkeiten und der Arbeitsweise von Hunden. Dabei interessiert sie sich besonders für die ausgesprochen enge Bindung des Hundes an den Menschen und den daraus resultierenden Möglichkeiten. Sie hat sowohl für das Mantrailing als auch für die Flächensuche neue, zielorientierte Ausbildungskonzepte entwickelt, die sowohl die Erfolgsquote steigern, als auch der schwindenden Akzeptanz unserer Hunde in der Öffentlichkeit Rechnung tragen und das Konfliktpotential drastisch reduzieren.

Cover des Mantrailing-Buchs von Martina Stricker
Cover des Buchs Flächensuche mit Hund von Martina Stricker