Einen Hundeschlitten durchs endlose Weiß zu steuern, ist eine ganz besondere Erfahrung – die viele Reisende in Schweden, Norwegen und Finnland erleben möchten. Aber wie finde ich vorher heraus, ob es den Hunden auf einer Schlittenhundefarm auch gut geht? 

Allgemeine Qualitätskriterien lassen sich nur schwer zusammenfassen, da sich die Schlittenhundeunternehmen in Größe, Teams und Philosophien extrem unterscheiden können. Ein erster Impuls wäre, eher zu kleinen Unternehmen zu tendieren, da sich dort ja bestimmt intensiver um die Hunde gekümmert wird, oder? Nun ja, so einfach ist es leider nicht.

Größe als Qualitätskriterium?

Josephin Habermann und Markus Brülisauer halten selbst mehr als zwei Dutzend Huskys und haben das Wildniscamp Nomadic Naali im Norden Finnlands aufgebaut. Davor haben sie auf einer großen Schlittenhundefarm mitgearbeitet und Erfahrungen gesammelt. Sie betonen, dass eine „kleine“ Farm nicht unbedingt darauf schließen lässt, dass es den Tieren dort auch rundum gut geht. Denn wenn sich wenige Menschen um alle Aufgaben kümmern müssen, die auf einer solchen Farm anfallen – von der Büroarbeit bis zum Zwingersäubern – kann ihnen das schon mal über den Kopf wachsen, eventuell zum Leidwesen der Hunde. Eine große Farm hat meist ein größeres Team und strukturierte Abläufe, da sich ansonsten die ganze Arbeit dort gar nicht bewältigen ließe. Aber auch „groß“ lässt sich nicht zwangsläufig mit „gut“ oder „schlecht“ gleichsetzen.

Haltungsformen auf Schlittenhundefarmen

Allerdings sind Haltungsformen wie das Leben in einer Gruppe in einem eingezäunten Auslauf mit weniger Hunden in der Regel einfacher zu gestalten. Diese Art der Hundehaltung ist im Hohen Norden allerdings sehr selten. Tatsächlich gehen die Meinungen unter den Mushern, wie Schlittenhundesportler auch genannt werden, weit auseinander. Manche bevorzugen es, ihre Hunde in Zweier-Teams zu halten, andere haben größere Gruppen. Einige halten ihre Hunde in Zwingern, andere legen sie an Ketten. Da stellt es dem deutschen Hundefan erst mal die Nackenhaare auf. Aber auch das müssen wir im Kontext betrachten: Haben die Hunde dabei Zugang zu warmen Hütten? Wie lange sind sie am Tag tatsächlich an der Kette und wie lange dürfen sie ihrer Leidenschaft – dem Laufen – nachgehen?

„Auf den ersten Blick und ohne Fachkenntnisse ist es kaum möglich, zu erkennen, wie eine Schlittenhundefarm wirklich operiert“ sagt Ann-Kristin Appel. Die Hundetrainerin war für 15 Wochen in Schweden und Norwegen unterwegs und hat neun unterschiedliche Schlittenhundefarmen besucht. „Ich denke, es ist nicht verkehrt, sich aufmerksam Bewertungen der Farmen und Camps im Internet und auf den Social-Media-Plattformen anzuschauen.“ Diesen Rat gibt auch Josephin Habermann: „Wie sehen die Hunde aus? Sind sie gepflegt? Lässt vielleicht eine Luftaufnahme erkennen, ob Ausläufe vorhanden sind?“ Online könne man auch Leute kontaktieren, die eine ins Auge gefasste Farm schon besucht haben, fügt Ann-Kristin hinzu. Es sei aber dennoch oft schwierig herauszufinden, wie es den Hunden tatsächlich geht. „Viele Kleinigkeiten wären von außen nie zu sehen. Ein Beispiel: Wenn die Hunde während des Schlittenziehens Durst haben, fressen sie Schnee. Dadurch reibt sich die untere Zahnreihe ab. Ältere Hunde haben häufig nur noch Zahnruinen im Unterkiefer. Das muss extrem wehtun, wenn der kalte Schnee an die offenliegenden Nerven kommt.“

Die Seniorenfrage auf Schlittenhundefarmen

Wenn auch alte Hunde auf den Social-Media-Auftritten der Schlittenhundefarmen zu sehen sind, legt das nahe, dass auf der Schlittenhundefarm „ausgediente“ Vierbeiner ihren Lebensabend verbringen dürfen. „Besteht eine Farm schon länger, müsste eigentlich ein Viertel der Hunde Senioren sein“, sagt Markus. Er legt ebenso wie Josephin Wert darauf, dass jeder Hund, der zu ihnen ins Nomadic Naali Camp kommt, auch ein Leben lang bei ihnen bleibt. Wie die Erfahrung von Ann-Kristin in Norwegen gezeigt hat, sieht das aber nicht jeder Musher so. Mehr findest du im Interview heraus.

INTERVIEW

Die Hundetrainerin und -fotografin Ann-Kristin Appel aus Hamburg (www.pawspective.de) hat ihre Liebe zu Hunden und den Ländern Skandinaviens in einer großen Reise verbunden: Insgesamt 15 Wochen war sie mit ihren Vierbeinern Bonnie und Lasse in Schweden und Norwegen unterwegs und hat neun Schlittenhunde-Farmen besucht. 

Ann-Kristin Appel
Foto: Ann-Kristin Appel

Ann-Kristin, warum wolltest du die Reise unternehmen?

Zum einen, weil ich natürlich beruflich mit Hunden zu tun habe und sie mich sehr interessieren. Zum anderen liebe ich Skandinavien und bin schon oft zum Wandern und Angeln dorthin gereist. Ich wollte immer mit Huskys arbeiten – eine Art Fortbildung sozusagen. Eigentlich sollte es ja der Winter werden, ergeben hat sich dann aber der Sommer.

Jede Husky-Farm hält ihre Hunde anders. Wie hast du das erlebt?

Es kommt wirklich auf die Farm an. Es gibt meiner Meinung und Erfahrung nach kaum jemanden, der ganz alleine 20 Hunde aufwärts hundgerecht halten kann. Der Hund ist ein Individuum seiner selbst, was gerade in solchen Situationen verkannt wird. Dann gibt es natürlich Farmen, auf denen die Hunde in Zwingern leben und andere, die sie anketten. In Schweden ist es nicht erlaubt, Hunde an der Kette zu halten. Ich habe aber persönlich viel mehr Hunde gesehen, denen es an der Kette gut ging, und andere, denen es im Zwinger schlecht ging. Es war auch spannend, die Huskys während meiner Reise im Sommer zu treffen. Das ist eine andere Welt als im Winter: Sie haben dann zwei bis drei Monate so gut wie nichts zu tun, denn es ist zu warm, um zu trainieren. Manche Musher stehen nachts um drei auf, und wenn sie Glück haben, sind es unter 15°C und es ist kühl genug, um mit den Hunden loszuziehen.

Auch die Meinungen darüber, was mit den Hunden geschehen soll, wenn sie zu alt für den anstrengenden Einsatz am Schlitten werden, unterscheiden sich deutlich ...

Ja. Für einen Norweger, den ich besucht habe, war es das Normalste auf der Welt, dass der Hund am Ende seines Lebens als Schlittenhund erschossen wird. Das ist der Blick auf den Hund als Nutztier. Seine Hunde hatten alle Basics. Er hat sich nicht viel besser versorgt. Nach seiner persönlichen Moral und Ethik hat er es gut gemeint mit ihnen.

Für ihn wäre es nicht moralisch vertretbar, einen Hund leben zu lassen, der nicht mehr am Schlitten laufen darf und aufgrund von Verschleißerscheinungen sein weiteres Leben etwaige Schmerzen hat. Das ist ein ganz anderes moralisches Konzept, das ich teilweise in Norwegen vorgefunden habe – nicht überall.

Für mich war es ein gutes Zeichen, wenn ich auf einer Farm auch Hunde getroffen habe, die schon neun, zehn oder elf Jahre alt waren. Ich habe ja insgesamt neun Farmen besucht. Diese Entscheidung habe ich während meiner meiner Reise gefasst. Eigentlich war es mein Plan, für drei oder vier Monate auf einer Farm zu bleiben und als Doghandler zu helfen. Aber die Erlebnisse auf der ersten Farm in Norwegen waren für mich sehr schlimm: Der Inhaber wollte es „besser“ machen als die anderen und keine Hunde erschießen, sondern alle bis zum Schluss behalten. Dadurch war die Farm eher wie ein Tierheim, in dem es den Hunden auch nicht wirklich gut ging. Das war also auch nicht der richtige Weg. Ich beschloss dort, viele unterschiedliche Farmen zu besuchen um zu sehen, was geht und machbar ist.

Was hat auf den Schlittenhundefarmen zu deinen Aufgaben gehört?

Ich habe die Zwinger gereinigt, beim Füttern geholfen, auch mal ein Haus gestrichen und natürlich viel fotografiert. Während der letzten zwei Monate habe ich mich intensiv um die Welpen gekümmert, dabei haben die Musher Unterstützung gebraucht. Manche haben sich auch Tipps bezüglich der Rudeldynamik oder der Erziehung der Junghunde geholt. Oft habe ich den Leuten auch einfach nur Gesellschaft geleistet.

Gerade zum Ende meiner Reise hin war ich in den sehr frühen Morgenstunden auch viel beim Training dabei. Ich habe also z.B. dabei geholfen, den Hunden die Geschirre anzulegen und sie einzuspannen. Die meisten Musher, die ich besucht habe, haben meistens 14 bis 18 Hunde auf einmal vor den Trainingswagen gespannt. Beim ersten Mal auf einem Schlitten mit Huskys kam mir das ganz schön schnell vor. Aber im Vergleich zu den Europäischen Schlittenhunden, die eher auf Schnelligkeit gezüchtet sind, war das doch eher gemütlich.

Was hast du mit deinen Hunden gemacht, während du im Einsatz warst?

Das war ganz unterschiedlich, da ich überall unterschiedlich viel zu tun hatte. Die beiden waren oft in meinem Zimmer, während ich arbeitete. Damit sind sie auch schon aus unserem Alltag in Deutschland vertraut. Auf einer Farm durften sie auch draußen herumlaufen, wie sie wollten. Die Huskys leben ja meistens in ihren Zwingeranlagen und bewegen sich nicht frei auf dem Farmgelände. Es kam sehr selten vor, dass jemand Hunde im Haus hatte. Meist passierte das nur, wenn ein Hund trächtig oder verletzt war. Bonnie und Lasse durften vereinzelt Huskys begegnen, aber nie dem ganzen Rudel auf einmal. Sie haben auch viele Welpen kennengelernt.

Waren alle Musher, die du besucht hast, Norweger?

Nein. Einer war Schweizer, ein anderer kam aus Berlin. Eine Frau, die ich getroffen habe, war aus Deutschland ausgewandert. Erst am Polarkreis lernte ich die ersten norwegischen Musher kennen. Ich wollte mich in die norwegische Welt mehr einfinden, das war gar nicht so einfach. Aber als ich erst einmal drin war, wurde ich immer wieder eingeladen. Tatsächlich kennt dort jeder Schlittenhundesportler jeden. Alle sind nett zueinander, teilen alles miteinander und helfen sich gegenseitig.

Was macht den „Hohe Norden“ als Traum-Reiseziel für dich aus?

Die Mentalität der Leute definitiv als erstes: Sie sind viel entspannter und stressresistenter. Ich bekam das Gefühl, dass die Menschen in Norwegen ihr Leben viel mehr genießen. Sie haben eine ganz andere Einstellung zu Arbeit und Geld.

Niemand hat sich beschwert, weder über die Arbeit, noch über frühes Aufstehen oder Corona. Neben den Menschen gefällt mir auch die Freiheit, die das Land mir und meinen Hunden bietet. Man kommt einfach mehr zu sich selbst. Das gute Wetter und die Helligkeit im Sommer über dem Polarkreis waren toll. Wir konnten zu jeder Zeit nach draußen in die Natur. Das Essen ist auch gut – vor allem der braune Käse, wenn man sich daran gewöhnt hat.

Ist Norwegen also ein Auswanderland für dich?

Ich möchte gerne irgendwann für ein paar Jahre nach Norwegen auswandern und vielleicht sogar mit sechs bis acht Huskys zusammenleben – am liebsten auf den Lofoten, aber definitiv oberhalb des Polarkreises. Das ist die absolut schönste Gegend für mich. Viele sagen: ‚In Norwegen ist es kalt und das Wetter schlecht.‘ Na ja, ich komme aus Hamburg und sehe das vielleicht ein bisschen anders. Die Weite, die Ferne und die Tiere sind mein absoluter Traum. Die Zeit der Polarnacht möchte ich auf jeden Fall auch noch erleben.

Welche Tipps hast du für Hundefreunde, die in den Hohen Norden reisen möchten?

Man braucht definitiv ein gutes Auto – am besten einen Van. Ich habe manchmal mit meinen beiden Hunden auch im Kombi übernachtet, das geht notfalls auch – jedoch nur im Sommer. Eine gute Ausrüstung ist natürlich das A und O: Im Gepäck sollte man alles haben, mit dem man sich im Zweifel auch selbst versorgen könnte, wie ein Camping-Kocher. Man muss mutig und flexibel sein. Ich habe vor meiner Reise Facebookgruppen durchstöbert und Schlittenhundefarmen gegoogelt.

Mein größter Tipp: Mach es alleine. So lernst du viel mehr Leute und auch das Land kennen. Die Menschen vertrauen dir schneller und laden dich auch eher ein. Die Norweger sind sehr nett und sprechen fast alle gut Englisch. Das Klischee, dass sie sehr zurückhaltend sind, stimmt meiner Erfahrung nach nicht. Aber vielleicht liegt auch das an meiner nordischen Mentalität.

Wer länger reist, sollte ein Ersatzhandy mitnehmen. Meines ging kaputt und ich konnte mir nicht so einfach eines aus Deutschland schicken lassen. Blitzen lassen sollte man sich auch nicht, das ist in Norwegen sehr teuer: Selbst bei einer Geschwindigkeitsüberschreitung von nur 9 km/h wurden 200 Euro für mich fällig.

Haben sich deine eigenen Hunde durch die Reise verändert?

Lasse ist ein sehr sensibler, schüchterner Angstbeißer, den ich als ‚Problemhund‘ übernommen habe. Mit ihm habe ich durch meine Reise mit dem Zughundesport begonnen und er hat dadurch viel Selbstbewusstsein bekommen. Bonnie ist neun Jahre alt. Sie war ihr Leben lang immer überall dabei, stets fit und sportlich. Die vergangenen Jahre hatte sie aber etwas nachgelassen. Nach den ersten Wandertouren auf den Lofoten war sie erst einmal fix und fertig, aber nach einer Weile war sie wieder voll mit dabei und vital.

Ich bin sehr stolz auf meine Hunde – gerade auch auf Lasse – dass sie die Reise so toll gemeistert haben. Zur Krönung des Ganzen wird im Frühling der pensionierte Husky Donald bei mir einziehen, den ich schon bald persönlich aus Norwegen abholen darf. Die nächste Reise wird dann also mit drei Hunden bestritten.

In der Januar-Ausgabe von DER HUND nehmen wir dich mit unserem Beitrag "Faszination Hoher Norden" mit ins schwedische Schlittenhunde-Camp von Lotti Meier und nach Finnland ins Wildnis-Camp Nomadic Naali. Das Heft ist am 6. Januar 2021 erschienen.

Januar Ausgabe DER HUND 2021