Unsere Hunde verstehen können wir nur, wenn wir uns der Möglichkeiten und Grenzen ihrer Wahrnehmungswelt bewusst sind – und der Limitationen unserer eigenen. Ed Yong schafft es, uns in völlig andere Welten zu entführen und über den eigenen "Tellerrand" schauen zu lassen. 

Rezension und Text: Lena Schwarz

Bereits in der Einleitung wimmelt es vor den unterschiedlichsten Tieren: von der Mücke über das Rotkelchen zum Elefanten. Als Vertreterin der Menschheit und "Gefäß" für die Vorstellungskraft der Leser:innen bringt Yong „Rebecca“ mit ein. Er malt uns quasi Bilder in den Kopf. Das ist auch wichtig, denn Yong stimmt uns auf eine schwierige, aber „wert- und verdienstvolle“ Reise durch 13 Kapitel ein. Einfach mal so zum Abschalten dient dieses Buch nicht, man muss schon mental am Ball bleiben.

Yong schreibt zu Beginn seines Buches von "Milliarden" Tierarten. Generell fallen die Schätzungen darüber, wie viele Tier- und Pflanzenarten es weltweit gibt, sehr unterschiedlich aus. Genau weiß es niemand, aktuell (oder besser gesagt immer noch, die Studie wurde 2011 veröffentlicht) rangiert die Zahl bei rund 8,7 Millionen. Darin sind auch andere Lebensformen wie Einzeller eingerechnet, aber keine Bakterien. Andere Schätzungen gehen noch viel weiter hinein in die Millionen, sind aber immer noch konservativer als Yong.

Wir schreiben seine Zahl zunächst der US-amerikanischen Freude an Übertreibung zu sowie dem Wunsch, dem Staunen über die schier unbeschreibliche Vielfalt der Natur Ausdruck zu verleihen. Eventuell könnte es aber auch an einer Übersetzung aus dem Englischen liegen, das lässt sich für uns ohne dieses Buch allerdings nicht prüfen.

Was verstehen wir voneinander? 

Schön: "Die erstaunlichen Sinne der Tiere" soll ein Buch über Tiere als Tiere sein, nicht im Vergleich zum Menschen oder als Schatzkiste mit Ideen für Erfindungen, die uns nutzen. Wichtig für uns Hundefreunde ist natürlich, dass das, was Yong beschreibt, nicht nur relevant und spannend für die großgefasste Runde aller Tierarten ist. Vielmehr trifft es auch auf das Zusammenleben von Mensch und Hund zu: „Jedes Tier ist in seiner eigenen, einzigartigen Sinnesblase eingeschlossen und nimmt nur einen winzigen Ausschnitt einer ungeheuer großen Welt wahr.“

Umso faszinierender ist es, mehr über andere Wahrnehmungen zu erfahren, auch wenn uns diese verschlossen bleiben und nur schwer oder gar nicht nachvollziehbar sind. Unsere Hunde verstehen können wir nur, wenn wir uns über die Möglichkeiten und Grenzen ihrer Wahrnehmungswelt bewusst sind – und den Limitationen unserer eigenen. Oder wie Yong es ausdrückt:

Auch unsere Umwelt ist begrenzt; es fühlt sich nur nicht so an. Auf uns macht sie einen allumfassenden Eindruck. Sie ist alles, was wir kennen, und so halten wir sie fälschlicherweise leicht für alles, was man kennen kann. Das ist eine Illusion, und diese Illusion hat auch jedes Tier.

Als eines der Tiere, mit dem die meisten Menschen engen täglichen Kontakt haben und (vermeintlich) am vertrautesten sind, begegnet uns beispielsweise im Kapitel zu Geruch und Geschmack direkt Labrador-Mix Finnegan. Das freut uns Hundefreunde natürlich!

Auch – oder eher vor allem – für generell an der Tierwelt Interessierte hat der Wissenschaftsjournalist eine spannende Lektüre zu Papier gebracht. Bisweilen schweift er dabei ein wenig ins Poetische, um einen bereits in weniger lyrischer Sprache gemachten Punkt auszuweiten. Wer mehr auf Kurzgefasstes steht, muss dann etwas Geduld aufbringen. Spannend und auch wertvoll, weil es zum Nachdenken anregt, ist das Buch definitiv. Und: Was wir verstehen, können wir besser schützen.

Wer sich mit seiner Lektüre gerne mal ein bisschen herausfordern lässt und Freude daran hat, zu staunen und seinen Horizont zu erweitern, wird mit "Die erstaunlichen Sinne der Tiere – Erkundungen einer unermesslichen Welt" fündig. Erhältlich ist die im Verlag Antje Kunstmann erschienene deutsche Übersetzung aus dem Englischen als eBook sowie als "klassisches" Buch.