Ein Besuch beim Tierarzt bedeutet für viele Vierbeiner Stress pur – und damit oft auch für den Halter. Dass es auch anders geht, zeigt Dr. Oliver Dietrich aus Augsburg. Er ist als mobiler Tierarzt unterwegs. Außerdem betreut er das Tierheim Augsburg. Der Hund hat ihn einen Tag lang begleitet.

Beaglewelpe Homer tapst vergnügt über den Behandlungstisch im Tierheim. „Wie viel wiegt er heute?“ fragt Dr. Oliver Dietrich die Pflegerin. Dann will er Homers Pupillenreflex testen. Der Welpe will in die Lampe beißen. „Ha, verfressen ist er jetzt schon!“ scherzt Dietrich, die Stimmung ist entspannt. Der Tierarzt und die Tierpflegerinnen sind ein eingespieltes Team. Seit vier Jahren betreut Dietrich das Tierheim Augsburg. Jeden Vormittag untersucht er Hunde, Katzen und Kleintiere. Alle Neuzugänge checkt er gründlich durch. „Oft kennen wir die Vorgeschichte nicht, wissen nicht, ob sie geimpft sind. Jedes Tier bekommt daher eine Grundimmunisierung.“ Jetzt misst Dietrich Homers Temperatur. Das Thermometer mag der Kleine gar nicht. Er winselt und drückt sich enger an die Pflegerin. Sie trägt einen grünen Plastikkittel und Handschuhe. Denn Homer ist in Quarantäne – Verdacht auf Tollwut.

1.800 Euro pro Welpe und Monat kostet die Tollwutquarantäne. Einmal pro Woche müssen Homer und sein Kumpel Hank auf Tollwut-Symptome untersucht werden, die Pfleger müssen den Zwinger speziell reinigen, der Kot muss getrennt entsorgt werden. Die Quarantäne ist nicht nur eine finanzielle Belastung, auch die Hunde leiden darunter. „Die sind gerade in der Prägephase, sollen aber keinen Kontakt zu Hunden und Menschen haben“, bedauert Dietrich.

Der Tierarzt streift sich die Gummihandschuhe von den Fingern, wirft sie in einen Metalleimer. Für heute ist seine Arbeit im Tierheim getan. Er zieht den Autoschlüssel aus der Hosentasche und los geht’s mit der mobilen Tierarztpraxis. Ein weißer Kombi: „Dr. med. vet. Oliver Dietrich“ steht an den Türen und auf dem Heck. Auf der rechten Seite ist eine Katze abgebildet, links ein Hund. „Die Hälfte meiner Patienten sind Katzen, etwa 30 Prozent Hunde, der Rest sind Kleintiere wie Kaninchen oder Vögel“, erzählt Dietrich.

Der erste Termin ist bei Familie Held, sie hat zwei Hunde und eine Katze. „Stellen Sie sich vor, sie müssen mit drei Tieren zum Arzt fahren“, sagt Dietrich. „Erst die aufgeregten Tiere ins Auto packen, im Wartezimmer ein Dutzend fremder Vierbeiner. Stress für die Tiere, Stress für die Besitzer. Da ist die mobile Tierpraxis eine gute Lösung.“

Dr. Dietrich untersucht Hund

Tünnes steht schon neugierig schnüffelnd am Gartentor. Der 14 Jahre alte Schäfer-Senner-Mix ist herzkrank. Dietrich hört Tünnes gründlich ab. Soweit alles ok. Als nächstes ist Hundedame Sheila dran. Die neunjährige Labrador-Jagdhund-Hündin ist eher schüchtern. „Zurzeit ist sie so apathisch, nur Gassi geht sie gern“, erzählen Helds. Sie machen sich Sorgen. Sheilas Herzschlag ist langsam. „Ich nehme ihr mal Blut ab“, sagt Dietrich und holt einen Minirasierer aus seiner Tasche, um eine kleine Stelle an Sheilas Hinterbein frei zu rasieren. Mit einem blauen Gurt bindet er das Bein ab, ein kleiner Piks, schon fließt Blut in die vorbereiteten Röhrchen.

Vom Radio zur Medizin

Jeder Handgriff sitzt, als hätte Dietrich sein Leben lang nichts anderes gemacht. Doch das täuscht. Dietrich ist auch Dipl.-Ing., „Medienmann“ und Unternehmer. „Forstwirtschaft oder Tiermedizin fand ich spannend. Leider war ich in der Schule nicht so motiviert, wie ich hätte sein sollen“, schmunzelt Dietrich. Er entschied sich deshalb für ein Lebensmitteltechnologiestudium. Dann kam er durch Zufall zum Radio. Schon während des Studiums arbeitete er dort als Redakteur und Moderator. Das passt, Dietrich ist kommunikativ, kann gut mit Menschen umgehen. Das ist auch als Tierarzt wichtig. Die Radioleidenschaft wurde zum Beruf, später wechselte er zum Fernsehen, gründete dann eine eigene Produktionsfirma, die schon nach kurzer Zeit sehr erfolgreich war. „Aber das Leben zwischen Umsatzzahlen und Geschäftsterminen war nicht meine Welt. Unsere beiden Hunde erinnerten mich daran, dass ich eigentlich einen anderen Lebenstraum hatte.” Das Angebot eines Mitbewerbers kam genau zum richtigen Zeitpunkt. Dietrich verkaufte seine Firmenanteile und studierte Tiermedizin. „Da war ich 44. Und hatte endlich das Gefühl, da angekommen zu sein, wo ich schon längst sein wollte.“

Dietrich ist gern unterwegs, so hatte er die Idee zur mobilen Tierarztpraxis. Seine Arbeit hat auch eine traurige Seite. Denn ihn rufen Hundehalter, wenn der Arzt für ihren Liebling nichts mehr tun kann. Damit der Hund friedlich im Garten einschlafen darf und seinen letzten Lebensmoment nicht in einem sterilem OP-Raum erlebt. „Das gehört dazu. Aber daran gewöhnen kann ich mich nicht.“

Bei Angelia Hager warten schon die nächsten Patienten, Nanuk und Roxi. Die fünfjährige Border Collie-Hündin Roxi holt gleich ihren kleinen grünen Ball. Endlich jemand zum Spielen! Doch erst muss Nanuk geimpft werden, ein flauschiger Husky-Golden-Berner Senner-Mix. Danach untersucht Dietrich Roxi ganz genau. Denn sie tritt bei den Deutschen Meisterschaften im Mannschafts-Combination Speed Cup an. Alles in Ordnung. Roxi kann ohne Bedenken starten. Noch einmal den Ball werfen, dann verabschiedet sich Dietrich.

„Die meisten Untersuchungen kann ich beim Hausbesuch machen“, sagt Dietrich und verstaut seine Tasche im Kofferraum. Der ist ziemlich voll. Verbandsmaterial, Spritzen, Kanülen, Stethoskop, Thermometer, sogar ein mobiles Ultraschallgerät. Für größere Eingriffe nutzt Dietrich den OP eines befreundeten Kollegen oder überweist an einen Spezialisten.

Reich wird Dietrich nicht mit seiner Idee. Denn er berechnet dieselben Sätze wie in der Praxis, nur die Anfahrt kostet extra. Und der zeitliche Mehraufwand ist enorm. „Aber das macht nichts“, sagt Dietrich. „Mir macht es einfach Spaß. Ich habe endlich meine Berufung gefunden.“

Dr. Oliver Dietrich